Krankenversicherung der Landwirte und Hartz-IV-Bezug

Das in der Krankenversicherung der Landwirte seit 1.4.2007 mögliche Nebeneinander der Versicherungs- und Beitragspflicht als Bezieher von Arbeitslosengeld II zum einen und als landwirtschaftlicher Unternehmer zum anderen gebietet keine einschränkende verfassungskonforme Auslegung des Beitragsrechts.

Krankenversicherung der Landwirte und Hartz-IV-Bezug

Die Versicherungspflicht eines Landwirts unterliegt nach § 5 Abs 1 Nr 3 SGB V der näheren Bestimmung des Zweiten Gesetzes über die KVdL (KVLG 1989). Nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 sind u.a. Unternehmer der Landwirtschaft in der KVdL versicherungspflichtig, deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht und die Mindestgröße iS des § 1 Abs 5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte erreicht.

Der Versicherungspflicht wegen des Bezuges von Alg II in der KVdL steht der Versicherungspflichttatbestand des Bezuges von Alg II in der allgemeinen GKV nicht entgegen, weil dieser seit 1.04.2007 durch die Versicherungspflicht in der KVdL verdrängt wird.

Zwar bestimmt § 3 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989, dass nach dem KVLG 1989 nicht versichert ist, wer “nach anderen gesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig ist”. Der darin ausgesprochene Grundsatz des Nachrangs der KVdL gegenüber anderen Versicherungspflichttatbeständen außerhalb dieses Gesetzes wird allerdings durch § 3 Abs 2 KVLG 1989 in bestimmten, dort näher geregelten Fällen – so auch bei dem Kläger – durchbrochen. Der “Vorrang der Versicherungspflicht nach diesem Gesetz” (d.h. nach dem KVLG 1989) besteht danach nämlich seit 1.04.2007 – infolge der Änderungen durch das GKV-WSG – gemäß § 3 Abs 2 Nr 6 KVLG nF ua für die in § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V genannten Personen, “wenn sie im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung oder vor dem Beginn des Bezugs von Unterhaltsgeld einer LKK angehören oder angehört haben”.

Diese Voraussetzungen sind in dem hier entschiedenen Fall bei dem Kläger erfüllt. Er gehörte ab 1.08.2000 als landwirtschaftlicher Unternehmer der beklagten LKK an und war mit Blick auf § 19 Abs 2 S 1 KVLG 1989 aF (in der bis 31.03.2007 geltenden Fassung) – von den Beteiligten unbeanstandet – deren Mitglied auch bei “Arbeitslosmeldung”; dieses Merkmal muss für die Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Alg II, für den anders als nach § 118 Abs 1 Nr 2 SGB III für den Bezug von Alg keine Arbeitslosmeldung, sondern ein Antrag (§ 37 Abs 1 S 1 SGB II) notwendig ist, so verstanden werden, dass der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist. Auch in der Folgezeit – dh im Zusammenhang mit neuen Bewilligungsabschnitten – gehörte der Kläger durchgehend der Beklagten an.

Beide Versicherungspflichttatbestände bestehen nebeneinander, weshalb eine zweifache Versicherungspflicht vorliegt. Eine Konkurrenzregelung, wonach einem der beiden Versicherungspflichttatbestände der Vorrang gegenüber dem anderen zukommt, existiert nicht.

Die zweifache Versicherungspflicht in der KVdL als landwirtschaftlicher Unternehmer einerseits und wegen des Bezuges von Alg II andererseits ist Folge der Aufnahme der Versicherungspflicht für Alg II beziehende Landwirte als neue Nr 6 in § 2 Abs 1 KVLG 1989 zum 1.04.2007 durch das GKV-WSG. Nach der bis 31.03.2007 geltenden Rechtslage trat die Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 in der KVdL aufgrund von § 3 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 hinter eine Versicherungspflicht nach einer “anderen gesetzlichen Vorschrift” – nämlich derjenigen wegen Alg II-Bezuges in der unmittelbar geltenden allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Regelung des § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V – zurück. Dass – ohne aktuelle Versicherungspflicht in der KVdL – auch während des Alg II-Bezuges die Mitgliedschaft bei der LKK nach § 19 Abs 2 KVLG 1989 in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung fortbestand, wenn eine Mitgliedschaft dort schon zuvor bestanden hatte, war für das Entfallen der Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer ohne Belang.

Dass die eine Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer in der KVdL verdrängende Wirkung der Versicherungspflicht als Alg II-Bezieher mit Aufnahme der Alg II beziehenden Landwirte in die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 6 KVLG 1989 zum 1.04.2007 entfiel, beruht nicht etwa auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers, sondern ist dessen bewusste Entscheidung. Dies belegen die Gesetzesmaterialien. So sollten mit den Neuregelungen die schon in der allgemeinen Krankenversicherung getroffenen Maßnahmen “grundsätzlich wirkungsgleich” auf die KVdL übertragen werden. Speziell mit der Erfassung der SGB IILeistungsempfänger in der KVdL mittels der Neuregelung in § 2 Abs 1 Nr 6 wurde nach den Vorstellungen des Gesetzgebers “auch bewirkt, dass eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 6 (neu) neben einem anderen Versicherungspflichttatbestand – z.B. als Landwirt nach Nummer 1 – entstehen kann”, was den geltenden Regelungen zur Versicherungspflicht im SGB V entspreche. § 3 KVLG 1989 wurde in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Personengruppe des § 2 Abs 1 Nr 6 KVLG 1989 dahin verstanden, dass er für die betroffenen Personen “die notwendigen Konkurrenzregelungen zur Versicherungspflicht nach dem SGB V” enthalte. Die gleiche Auffassung einer “doppelten Versicherungspflicht” hat z.B. auch das zuständige Fachministerium in einer von der Beklagten zum Verfahren eingereichten schriftlichen Stellungnahme vertreten.

Der Umstand, dass konkurrierende Versicherungspflichttatbestände zu einer mehrfach begründeten Versicherungspflicht führen können, widerspricht auch nicht etwa allgemeinen Grundsätzen des Sozialversicherungsrechts. Auch in der allgemeinen Krankenversicherung kann – außerhalb der getroffenen Regelungen über die Rangfolge verschiedener gesetzlicher Versicherungspflichttatbestände (z.B. in § 5 Abs 6 bis 8a SGB V) – durchaus die Situation eintreten, dass mehrfach Versicherungspflicht nebeneinander besteht, mit der Folge, dass dann unterschiedliche Regelungen für Beginn und Ende der Mitgliedschaft, beitragspflichtige Einnahmen sowie Beitragstragung und Beitragszahlung gelten.

Die zweifache Versicherungspflicht auch eine zweifache Beitragspflicht zur Folge. Gegenteiliges kann hier insbesondere nicht aus § 20 KVLG 1989 hergeleitet werden. Auch verfassungsrechtliche Erwägungen gebieten eine solche Auslegung nicht.

Schon nach der allgemeinen Systematik der Finanzierungsvorschriften im Achten Kapitel des SGB V hat ein bestimmter Versicherungspflichttatbestand (§ 5 SGB V) auch jeweils – nach näherer gesetzlicher Regelung der §§ 226 ff SGB V – die Beitragspflicht von darauf bezogenen Einnahmen zur Folge (vgl. z.B. für Beschäftigte: Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, beitragspflichtige Einnahmen nach § 226 SGB V)). Auf diese Systematik verweist § 20 KVLG 1989 idF des GKV-WSG (aaO), indem er für Versicherungspflichtige nach § 2 Abs 1 Nr 6 KVLG 1989 – also Alg II-Bezieher wie den Kläger – bestimmt, dass die Vorschriften des SGB V über die Versicherung, die Mitgliedschaft, die Meldungen und die Beiträge mit Ausnahme des § 173 SGB V entsprechend anzuwenden sind. Demzufolge sind – bezogen auf den vorliegenden Rechtsstreit – die in der KVdL beitragspflichtigen Einnahmen der Alg II-Bezieher in § 232a Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V i.V.m. § 20 KVLG 1989 geregelt; die Beitragsberechnung der nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmer hat demgegenüber in §§ 39 f KVLG 1989 eine gesonderte Regelung erfahren.

Aus § 20 KVLG 1989 idF des GKV-WSG lässt sich dagegen nicht herleiten, dass die zweifache Versicherungspflicht in der KVdL eine Beitragspflicht nur wegen Alg II-Bezuges nach dem SGB V und daher nicht auch als landwirtschaftlicher Unternehmer auslöse. Vielmehr ist – sofern nicht bereichsspezifische Sonderregelungen geschaffen wurden – grundsätzlich davon auszugehen, dass eine zweifach begründete Versicherungspflicht beitragsrechtlich gleichermaßen zu zweifachen – im Einzelnen nicht notwendig gleichen Regelungen unterliegenden – Beitragspflichten führt. Zu Recht hat das LSG insoweit im Rahmen seiner Erörterungen darauf verwiesen, dass es dem Beitragsrecht der GKV entspricht, verschiedene Einkommensquellen jeweils für sich genommen als beitragspflichtig anzusehen.

Einem anderen Ergebnis der Auslegung des § 20 KVLG 1989 steht schon entgegen, dass mit der durch das GKV-WSG geschaffenen Regelung gar keine grundsätzlich neue Rechtslage geschaffen werden sollte, welche die Frage der Beitragspflicht bei zweifach bestehender Versicherungspflicht regelte. Nach der Gesetzesbegründung entspricht die Vorschrift vielmehr “inhaltlich weitgehend dem bisherigen § 19 Abs 2 Satz 2″; auch dieser bestimmte aber bereits, dass für die Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V die Vorschriften des SGB V über die Versicherung, die Mitgliedschaft, die Meldungen und die Aufbringung der Mittel mit Ausnahme des § 173 galten. Die darin zum Ausdruck kommende – gewollte – Kontinuität in der Abwicklung der Versicherung der SGB IILeistungsempfänger nach bestimmten Regelungen des SGB V deutet nicht darauf hin, dass es bei einem Ausschluss der Beitragspflicht für Alg II beziehende Landwirte verbleiben sollte; diese Frage stellte sich nämlich nach dem bis 31.03.2007 geltenden Recht gar nicht, weil – wie oben beschrieben – schon die Versicherungspflicht dieses Personenkreises nach dem KVLG 1989 fehlte und sie nur nach dem SGB V bestand. Mit der Verweisung kann daher nur im Wege einer Rechtsfolgenverweisung gemeint sein, dass sich die Abwicklung der nunmehr aufgrund von Versicherungspflicht in der KVdL erfolgenden Versicherung der Alg IILeistungsbezieher weiterhin inhaltlich an den Regelungen des SGB V ausrichtet.

Für die Auslegung, dass § 20 KVLG 1989 den Versicherten beitragsrechtlich insgesamt erfasse, dh auch hinsichtlich der Beitragspflicht und bemessung als landwirtschaftlicher Unternehmer, und es daher wegen der Geltung der Vorschriften des SGB V über die Beiträge nicht zu gesonderten Beitragspflichten wegen der Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer kommen könne, lassen sich schließlich auch verfassungsrechtliche Gründe nicht mit Erfolg anführen.

Zur Begründung dieser – vom Bundessozialgericht verneinten – Auslegung wird darauf abgestellt, dass die Auslegung der versicherungs- und beitragsrechtlichen Vorschriften des KVLG 1989 berücksichtigen müsse, dass dem Kläger und seiner Familie als Bezieher von SGB IILeistungen vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum verbleiben müsse; dieses sei aber nicht gewährleistet, wenn er gehalten wäre, aus den Grundsicherungsleistungen als Landwirt Beiträge zur KVdL (und Pflegeversicherung) zu entrichten, obwohl das SGB II insoweit keinen Mehrbedarfstatbestand vorsehe, der die Beitragsbelastung in der KVdL berücksichtige.

Einer solchen verfassungskonformen Auslegung des § 20 KVLG 1989 mit der Folge, dass der Versicherte als Alg IILeistungsbezieher trotz angeordneter Versicherungspflicht – wie noch nach der Rechtslage vor dem 1.04.2007 – keine Beiträge für seine fortbestehende Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer zu zahlen hätte, bedarf es nicht.

Insoweit ist – abgesehen von dem Umstand, dass die Pflichtbeiträge eines Alg II begehrenden selbstständigen Landwirts zur KVdL gemäß § 11 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB II einkommensmindernd in Abzug zu bringen sind – zu berücksichtigen, dass Bedarfslagen, die sich durch das Versicherungs- und Beitragsrecht der Sozialversicherung ergeben, nicht gebieten, dieses spezifische Recht nunmehr einschränkend im Lichte des SGB II auszulegen. So verkennt das LSG, dass eine gesetzlich begründete Versicherungs- und Beitragspflicht nicht etwa deshalb entfällt, weil der Beitragsschuldner zahlungsunfähig ist oder sich (aktuell) nicht oder nur unter Gefährdung seines Existenzminimums in der Lage sieht, seinen beitragsrechtlichen Pflichten nachzukommen. Sofern im Zusammenhang mit beitragsrechtlichen Regelungen im Übrigen Defizitlagen auftreten sollten, wären in erster Linie die Grundsicherungsträger berufen, diese auch unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts in den Blick zu nehmen und ggf das Leistungsrecht des SGB II verfassungskonform auszulegen. So hat die höchstrichterliche Rechtsprechung z.B. auch das Leistungsrecht der GKV trotz Geltendmachung der Gefährdung des Existenzminimums nicht zu Gunsten von SGB IILeistungsempfängern erweiternd ausgelegt, sondern statt dessen auf die in Betracht kommende Zuständigkeit der Grundsicherungsträger verwiesen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 12 KR 17/10 R