Mit der Frage, ob Luftverunreinigungen durch Bioaerosole in der Umgebung einer Schweinemastanlage eine Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG darstellen, hatte sich aktuell das Bundesverwaltungsgericht zu befassen:

Dass Bioaerosole grundsätzlich geeignet sind, z.B. als Auslöser von Atemwegserkrankungen und Allergien nachteilig auf die Gesundheit zu wirken, stellt das Bundesverwaltungsgericht nicht in Abrede. Die Eignung von einwirkenden Luftverunreinigungen im Sinne des § 3 Abs. 4 BImSchG, einen Schaden herbeizuführen, genügt jedoch nicht, um Schutzansprüche gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu begründen. Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht greift als Instrument der Gefahrenabwehr nur ein, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Die insoweit zu stellenden Anforderungen sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 11.12 2003[1] dargelegt:
Sie, die Schutzpflicht, dient der Abwehr erkannter Gefahren und der Vorbeugung gegenüber künftigen Schäden, die durch solche Gefahren hervorgerufen werden können. Ob Umwelteinwirkungen im Einzelfall geeignet sind, Gefahren herbeizuführen, unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Prüfung[2]. Eine Gefahr liegt nach der klassischen Begriffsdefinition dort vor, wo ‚aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden‘[3]. Daran fehlt es bei Ungewissheit über einen Schadenseintritt. Potentiell schädliche Umwelteinwirkungen, ein nur möglicher Zusammenhang zwischen Emissionen und Schadenseintritt oder ein generelles Besorgnispotential können Anlass für Vorsorgemaßnahmen sein, sofern diese nach Art und Umfang verhältnismäßig sind. Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen erfasst mithin mögliche Schäden, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, weshalb noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential besteht[4]. Gibt es hinreichende Gründe für die Annahme, dass Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, ist es Aufgabe der Vorsorge, solche Risiken unterhalb der Gefahrengrenze zu minimieren[5]. Ob bei ungewissem Kausalzusammenhang zwischen Umwelteinwirkungen und Schäden eine Gefahr oder ein Besorgnispotential anzunehmen ist, hängt vom Erkenntnisstand über den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts ab.
Zum Erkenntnisstand über die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch Bioaerosole ist in Übereinstimmung mit der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung[6] festzustellen, dass der aktuelle Kenntnisstand von Umwelthygiene und Umweltmedizin keine hinreichend sicheren Aussagen über die Gefährlichkeit solcher Immissionen für Menschen zuläßt. Ausbreitung und kausale Verursachungszusammenhänge sind nicht hinreichend bekannt. Es können keine Wirkschwelle angegeben werden, oberhalb derer mit Gesundheitsschäden beim Menschen zu rechnen ist.
Ausgehend hiervon war im vorliegendenden Fall eine durch Bioaerosole bedingte Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG für die Wohnbebauung zu verneinen; das Besorgnispotential von Bioaerosolen ist gegenwärtig nur über das Vorsorgegebot nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu berücksichtigen.
Die Möglichkeit, dass es gemäß Nr. 4.8 der TA Luft 2002 geboten sein kann, im Wege einer Sonderfallprüfung festzustellen, ob in einem Beurteilungsgebiet schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können[7] ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings kommt eine Sonderfallprüfung nicht in Betracht, wenn es der Gemeinde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sei, sich auf Belange des Sondergebiets zu berufen. Im vorliegenden Fall hatte die Gemeinde das Sondergebiet erst nach Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Schweinemastanlage ausgewiesen.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. November 2014 – 7 B 27.2014 –
- BVerwG, Urteil vom 11.12.2003 – 7 C 19.02, BVerwGE 119, 329, 332 f.[↩]
- BVerwGE 55, 250, 253[↩]
- PrOVG, Urteil vom 15.10.1894, PrVBl 16, 125, 126[↩]
- BVerwGE 72, 300, 315[↩]
- vgl. BVerwGE 69, 37, 43, 45; Beschluss vom 30.08.1996 – 7 VR 2.96, Buchholz 406.25 § 17 BImSchG Nr. 3[↩]
- BayVGH, Beschluss vom 27.03.2014 – 22 ZB 13.692 21; OVG NRW, Urteil vom 30.01.2014 – 7 A 2555/11 88 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13 Juni 2013 – 2 M 16/13 12 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.03.2013 – 1 LB 5/12 92; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.12 2012 – 1 MN 164/12 68; ebenso BVerwG, Urteil vom 19.04.2012 – 4 CN 3.11, BVerwGE 143, 24 Rn. 21[↩]
- OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2010 – 8 B 1015/09; Nds. OVG, Beschluss vom 13.03.2012 – 12 ME 270/11; vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.06.2013 – 2 M 16/13[↩]