Vereinbarkeit der Milchabgabenregelungen mit europäischen Unions- und deutschem Verfassungsrecht

Die Vereinbarkeit der Vorschriften über die Milchabgabe mit höherrangigem Recht ist wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen. So hat der Bundesfinanzhof bereits zur früheren Milch-Garantiemengen-Verordnung -MGV- entschieden, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen -MOG a.F.- ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen i.S. des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG sind und dass die in jenen Vorschriften über § 1 Abs. 2 MOG a.F. enthaltene dynamische Verweisung auf das Unionsrecht verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht.

Vereinbarkeit der Milchabgabenregelungen mit europäischen Unions- und deutschem Verfassungsrecht

Zum einen ist der Gesetzgeber befugt, mit einer Verweisung auf das Unionsrecht Inhalt, Zweck und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen näher zu bestimmen. Zum anderen sind die für die Erhebung der Milchabgabe maßgeblichen unionsrechtlichen Vorschriften auch ausreichend bestimmt. Des Weiteren hat sich der Bundesfinanzhof der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen, ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG sei nicht darin zu sehen, dass in einer Rechtsverordnung lediglich das zugrunde liegende einzelstaatliche förmliche Parlamentsgesetz, nicht jedoch auch die unionsrechtliche Rechtsgrundlage angegeben ist.

An dieser Rechtsprechung hält der Bundesfinanzhof ausdrücklich fest. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht die gegen den vorgenannten BFH-Beschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht zwei gegen Urteile ordentlicher Gerichte erhobene Verfassungsbeschwerden ebenfalls nicht zur Entscheidung angenommen und in der Begründung seines Beschlusses die Vereinbarkeit der auf § 8 Abs. 1 Satz 1 sowie § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG a.F. gestützten MGV mit den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG umfassend geprüft und bejaht.

Die im Streitfall anzuwendende Verordnung zur Durchführung der EG-Milchabgabenregelung (MilchAbgV) vom 07.03.2007 nennt (u.a.) § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen -MOG- als Ermächtigungsgrundlage. Diese Vorschriften entsprechen denjenigen des MOG a.F., welche die MGV seinerzeit als Ermächtigungsgrundlage bezeichnete. Es ist daher kein Grund erkennbar, die Vereinbarkeit der MilchAbgV mit Art. 80 Abs. 1 GG anders zu beurteilen, als es das BVerfG hinsichtlich der MGV entschieden hat.

Wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausgeführt hat, ist der Zweck des Zitiergebots erfüllt, wenn sich der Verordnungsgeber auf die Nennung der Verordnungsermächtigung beschränkt. Diese Ermächtigungen finden sich in § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG. Ebenso wenig wie die MilchAbgV die Milchabgaberegelungen des Unionsrechts, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung (mit-)bestimmen und auf welche die Verordnungsermächtigung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verweist, bezeichnen muss, sind sämtliche Inhalt, Zweck und Ausmaß regelnden Vorschriften des MOG in der Verordnung zu zitieren. Das in § 12 Abs. 3 Satz 1 MOG als Gegenstand der Verordnung genannte Einbehalten, Abführen und Erstatten von Abgaben zu Marktordnungszwecken durch Abnehmer von Marktordnungswaren ist lediglich eine spezielle Gestaltung des in § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG ohnehin bereits erwähnten “Verfahrens bei Abgaben zu Marktordnungszwecken”, das außerdem bereits im Unionsrecht vorgezeichnet ist.

m Übrigen ist § 12 Abs. 3 MOG bereits i.d. Fassung der Bekanntmachung des Gesetzes vom 20.09.1995 enthalten, die Gegenstand der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts war. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG als gewahrt angesehen und nicht verlangt, die MGV müsse auch § 12 Abs. 3 MOG als Ermächtigungsgrundlage nennen.

Dass § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG lediglich von einer Ermächtigung des “Bundesministeriums” sprechen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil das “Bundesministerium” in § 3 Abs. 2 MOG als das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft legal definiert ist. Die einmalige gesetzliche Definition eines Begriffs in seiner Kurzform, die dann im weiteren Verlauf verwendet wird, ist eine übliche Technik in der Gesetzgebung. Für den Normadressaten des MOG ist hinreichend deutlich erkennbar, welches Bundesministerium durch § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 MOG zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt wird. Entsprechende Bezeichnungen des ermächtigten Ministeriums fanden sich bereits im MOG a.F.: Auch dort war der in verschiedenen Vorschriften zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte “Bundesminister” am Anfang des Gesetzes legal definiert. Das Bundesverfassungsgericht hat hierin keinen Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen.

Es gibt keinen unionsrechtlichen Anspruch auf Saldierung und auch keinen Anspruch auf ein bestimmtes Saldierungsverfahren, soweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten entsprechende Spielräume lässt. Durch § 34 MilchAbgV ist die in Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates vom 29.09.2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor unionsrechtlich (als Alternative) vorgegebene Saldierungsweise, nämlich zunächst auf der Ebene des Käufers und anschließend auf einzelstaatlicher Ebene, gewählt worden. Zu den rechtlichen Einwendungen der Beschwerde gegen dieses Saldierungsverfahren hat der Bundesfinanzhof das Erforderliche bereits hinsichtlich der Vorgängervorschrift zu § 34 MilchAbgV ausgeführt. Träfe es zu, dass § 34 MilchAbgV -wie die Beschwerde meint- wegen Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig ist, gäbe es überhaupt keine Möglichkeit, Milcherzeugern nicht genutzte Quoten zuzuteilen.

Abgesehen davon, dass es -wie ausgeführt- keinen Anspruch auf eine vom jeweiligen Mitgliedstaat zu treffende Wahl eines bestimmten, für den einzelnen Milcherzeuger besonders günstigen Saldierungsverfahrens gibt, dürfte es zudem von stets veränderlichen Umständen, wie der Höhe der Überlieferungen innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums und der Zusammensetzung der Gruppe der einen Käufer beliefernden Milcherzeuger, abhängen, ob im Einzelfall die Molkereisaldierung oder die Saldierung auf nationaler Ebene zu einer geringeren Abgabenbelastung führt. Die für einen bestimmten Milcherzeuger günstige Art der Saldierung kann sich bei einem anderen Milcherzeuger ungünstig auswirken.

Die Saldierung auf Unionsebene ist nach § 34 MilchAbgV nicht möglich. Der Unionsgesetzgeber hat den Mitgliedstaaten einzelstaatliche Referenzmengen zugewiesen und ihnen deren Verteilung auf die Milcherzeuger überlassen. Dass er die Möglichkeit der Saldierung auf den Bereich des jeweiligen Mitgliedstaats beschränkt und von einer Zuweisung ungenutzter einzelstaatlicher Referenzmengen an Mitgliedstaaten, in denen die einzelstaatliche Referenzmenge überschritten wird, abgesehen hat, ist eine sich im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens haltende Entscheidung.

Daraus mag sich für bestimmte Zwölfmonatszeiträume ergeben, dass in einem Mitgliedstaat ansässige Milcherzeuger trotz Überlieferung ihrer verfügbaren Referenzmenge keine Milchabgaben entrichten müssen, weil sie aufgrund nationaler Saldierungsmöglichkeiten ihre Überlieferungen mit ungenutzten Referenzmengen ausgleichen können, während überliefernden Milcherzeugern in anderen Mitgliedstaaten keine Saldierung zugutekommt. Hierin liegt aber keine Diskriminierung, da Milcherzeuger bestimmter Mitgliedstaaten nicht strukturell gegenüber anderen benachteiligt werden. Es bleibt jedem Mitglied der Union überlassen, die allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise zur Verfügung stehenden unionsrechtlichen Saldierungsmöglichkeiten zu nutzen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, die Prüfung der VO Nr. 1788/2003 im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit habe nichts ergeben, was ihre Gültigkeit beeinträchtigen könnte. Der Unionsgerichtshof betont in seiner Entscheidung “Azienda Agricola Disaro Antonio”, dass der Gesetzgeber im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 33 EG) über ein weites Ermessen verfüge, das er mit dem Erlass der VO Nr. 1788/2003 nicht überschritten habe, indem er das in Art. 33 Abs. 1 Buchst. c EG ausdrücklich erwähnte Ziel der Stabilisierung der Märkte verfolgt und diesem Ziel Vorrang eingeräumt habe. Die gerichtliche Kontrolle des Ermessensspielraums des Unionsgesetzgebers im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik sei auf die Überprüfung beschränkt, ob eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme zur Erreichung des jeweils verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet sei. Dies sei bei der VO Nr. 1788/2003 jedoch nicht der Fall. Ihr Erlass sei erforderlich gewesen, um das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Milch und Milcherzeugnissen und die daraus resultierenden strukturellen Überschüsse zu verringern und dadurch ein besseres Marktgleichgewicht zu erreichen. Mit den in Art. 33 Abs. 1 Buchst. a und b EG genannten Zielen sei die VO Nr. 1788/2003 vereinbar.

Dass der Verordnungsgeber den Richtpreis aufgegeben hat, rechtfertigt ebenfalls keine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Milchabgaberegelungen. Mit seinem Urteil “Cooperativa Lettepiù” hat der Unionsgerichtshof ausgeführt, es könne nicht hingenommen werden, dass in einem Mitgliedstaat die zugeteilte Referenzmenge überschritten werde, ohne dass dies die Zahlung der Milchabgabe nach sich ziehe, da ansonsten Erzeuger, deren Überproduktion von der Milchabgabe befreit wäre, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber Erzeugern in anderen Mitgliedstaaten erlangten und zudem die Solidarität unter den Mitgliedstaaten insofern gestört werde, als Erzeuger von den durch die Festlegung eines Richtpreises für Milch verschafften Vorteilen profitierten, ohne die Einschränkungen hinnehmen zu müssen, durch die ein solcher Richtpreis beibehalten werden könne. Diese Ausführungen des Unionsgerichtshofs geben keinen Anlass zu der Annahme, die unionsrechtlichen Milchabgaberegelungen seien nur unter der Voraussetzung der Beibehaltung eines bestimmten Milchrichtpreises zu rechtfertigen. Vielmehr liegt es im Ermessen des Verordnungsgebers, die Milcherzeuger auch unabhängig von einem Richtpreis zur Einhaltung einer bestimmten Produktionsmenge mithilfe einer Milchabgabe anzuhalten.

Auf die Einhaltung dieser in Gestalt einer sog. Quote zugeteilten Produktionsmenge kann und muss sich jeder Milch erzeugende Betrieb einstellen. Dass es -wie die Beschwerde behauptet- schwierig ist, an der Milchquotenbörse weitere Quoten zu einem angemessenen Preis zu erwerben, ändert nichts daran, dass der Unionsgesetzgeber berechtigt ist, die Milchproduktion in der Union zu beschränken, indem er Überproduktionen mit einer Abgabe belegt.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 2013 – VII B 87/12