Das Töten junger Küken erfüllt nicht den Straftatbestand nach § 17 Nr. 1 TierSchG.

So hat das Oberlandesgericht Hamm in dem hier vorliegenden Fall gegen den Betreiber einer Kükenbrüterei die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Anklage zur Hauptverhandlung als unbegründet veworfen. Das Landgericht Münster[1] hat die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen den Betreiber einer Kükenbrüterei in Senden abgelehnt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Münster Beschwerde eingelegt, der die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beigetreten ist.
In seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm ausgeführt, dass bei der Auslegung des § 17 Nr. 1 TierSchG auch zu berücksichtigen sei, dass Verordnungen des Rates der Europäischen Union detaillierte Regelungen über das technische Verfahren zur Tötung von männlichen Eintagsküken nach dem Schlupf enthielten. Beim Erlass dieser Verordnungen sei der Verordnungsgeber denknotwendig davon ausgegangen, dass das Töten von männlichen Eintagsküken spezieller Legerassen nach dem Schlupf aus wirtschaftlichen Gründen bzw. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile generell zulässig sei. Andernfalls wären die Verordnungen überhaupt nicht veranlasst oder erforderlich gewesen.
Außerdem seien die jüngsten Bestrebungen und Gesetzesvorhaben zur Änderung des Tierschutzgesetzes zu berücksichtigen, mit denen das Ziel verfolgt werde, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männlichen Eintagsküken zu beenden. Die angestrebte Änderung des Tierschutzgesetzes wäre denknotwendig nicht erforderlich, wenn das Töten von männlichen Eintagsküken aus wirtschaftlichen Gründen bzw. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile bereits nach der derzeit geltenden Gesetzeslage strafbar wäre. Insoweit solle es nach den Materialien zu diesem Gesetzesvorhaben erst „künftig“ verboten sein, ein Tier allein zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen zu töten. Zur Begründung werde unter anderem ausgeführt, dass der im Allgemeinbewusstsein weiterentwickelte Tierschutzgedanke dazu führen könne, dass früher kritiklos hingenommene Nutzungsarten und Umgangsformen heute nicht mehr als vernünftig bzw. rechtfertigend gelten würden, wenn sie aufgrund geänderter ethischer Einstellungen mit den gegenwärtigen Wertvorstellungen zur Mensch-Tier-Beziehung nicht mehr im Einklang stünden.
Die Änderung der ethischen Einstellung und der Wertvorstellungen der Bevölkerung zu der Beziehung zwischen Mensch und Tier könnten aber nicht ohne weiteres dazu führen, dass die jahrelang angewandte und aus Sicht der Behörden stets geduldete Praxis des Tötens von männlichen Eintagsküken zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen nunmehr ohne ein gesetzgeberisches Tätigwerden strafbar sein solle. Das sei mit dem im Grundgesetz verankerten Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren, wonach eine Tat nur dann bestraft werden könne, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für eine Auslegung des Tierschutzgesetzes nach der das infrage stehende Töten männlicher Eintagsküken strafbar sein solle, bedürfe es daher aus Sicht des Oberlandesgerichts Hamm zuvor einer (klarstellenden) gesetzgeberischen Entscheidung.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 Ws 113/16
- LG Münster, Beschluss vom 07.03.2016 – 2 KLs 7/15[↩]