Zahlungen der EU-Beitrittsländer

Die Entscheidung der Kommission der Europäischen Union, neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Beträge für die Beseitigung der am Tag ihres Beitritts zur Union in ihrem Hoheitsgebiet bestehenden Überschüsse an landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Rechnung zu stellen, verstößt gegen die Akte über den Beitritt dieser Staaten.

Zahlungen der EU-Beitrittsländer

So die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union in dem hier vorliegenden Fall von Klagen der Länder Polen, Slowakei, Tschechische Republik und Litauen auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung der Kommission.

Sachverhalt

Im Rahmen der Erweiterung der Europäischen Union, der am 1. Mai 2004 zehn neue Mitgliedstaaten beigetreten sind, nahmen die Union und die betroffenen Staaten Verhandlungen über die Landwirtschaft und insbesondere über die rechtliche Behandlung der Überschüsse an landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf, d. h. der am Tag des Beitritts im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten vorhandenen und im freien Verkehr befindlichen Bestände dieser Erzeugnisse, die über die Menge der als normal anzusehenden Übertragungsbestände hinausgehen.

Nach der Beitrittsakte von 2003 müssen alle Überschüsse – private und öffentliche – auf Kosten der neuen Mitgliedstaaten beseitigt werden; die Kommission hat die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Im Jahr 2007 erließ die Kommission auf der Grundlage der Bestimmungen dieser Akte eine Entscheidung, in der sie die Überschüsse bestimmte, die am 1. Mai 2004 im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten bestanden, und Beträge festlegte, die diesen Staaten „infolge der Kosten für die Beseitigung“ der betreffenden Überschüsse in Rechnung gestellt werden. Dementsprechend ordnete sie folgende Zahlungen an den Gemeinschaftshaushalt an, berechnet nach dem Volumen der Überschüsse sämtlicher betroffenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse:

Polen: 12.449 000 €
Slowakei: 3.634 000 €
Tschechische Republik: 12.287 000 €
Litauen: 3.181 000 €

Daraufhin haben Polen, die Slowakei, die Tschechische Republik und Litauen Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben. Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union

Das Gericht der Europäischen Union stellt zunächst fest, dass die Kommission aufgrund der Beitrittsakte von 2003 ein
System schaffen muss, mit dem sichergestellt werden kann, dass entweder durch den Absatz der Überschüsse auf dem Binnenmarkt verursachte Störungen vermieden oder ihre wirtschaftlichen Auswirkungen ausgeglichen werden. Nach diesem System werden die am 1. Mai 2004 im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten bestehenden Überschüsse grundsätzlich in der Gemeinschaft vom Markt genommen (insbesondere im Wege der Ausfuhr oder der Vernichtung). Die Kommission kann entscheiden, ob dies von den neuen Mitgliedstaaten oder von der Gemeinschaft durchgeführt wird; im letztgenannten Fall legt sie die Kosten auf die betreffenden Mitgliedstaaten um.

Sodann stellt das Gericht der Europäischen Union fest, dass das in der angefochtenen Entscheidung vorgesehene System der Beseitigung der Überschüsse nicht auf der Vernichtung oder der Ausfuhr beruht. Es handelt sich um ein System, durch das die Überschüsse ab dem 1. Mai 2004 endgültig in der Gemeinschaft auf den Markt gelangen können und das dazu führt, dass die neuen Mitgliedstaaten einen Betrag an den Gemeinschaftshaushalt zahlen, der die Kosten widerspiegelt, die von diesem Haushalt hätten getragen werden müssen, wenn die Gemeinschaft die Ausfuhr der Überschüsse finanziert hätte. Folglich handelt es sich bei den in der angefochtenen Entscheidung genannten Beträgen nicht um die in der Beitrittsakte vorgesehenen Beiträge zur Deckung der Kosten für die Beseitigung der Überschüsse, sondern um schlichte Zahlungen, die den neuen Mitgliedstaaten zugunsten der Gemeinschaft auferlegt werden.

Das Gericht weist das Vorbringen der Kommission zurück, wonach die in der angefochtenen Entscheidung vorgesehene Maßnahme gleichwohl die einzige sei, mit der die Erreichung des mit der Beitrittsakte verfolgten Ziels sichergestellt werden könne.

  • Erstens kann, selbst wenn die am 1. Mai 2004 im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten bestehenden Überschüsse vor Erlass der angefochtenen Entscheidung durch den Binnenmarkt aufgenommen werden konnten, die in der Beitrittsakte vorgesehene Beseitigung im Wege der Vernichtung oder der Ausfuhr durchgeführt werden.
  • Zweitens kann aus dem Umstand, dass die Organisation eines solchen Systems der Beseitigung der Überschüsse mit Kosten verbunden ist, nicht der Schluss gezogen werden, dass die Beitrittsakte dahin auszulegen wäre, dass sie den Erlass einer anderen Maßnahme (wie die Auferlegung einer Zahlung) vorsieht.
  • Drittens trägt die Beseitigung der Überschüsse im Wege der Vernichtung oder der Ausfuhr selbst nach dem Absatz der Überschüsse auf dem Markt dazu bei, die wirtschaftlichen Störungen zu beheben, die mit dem Bestehen der Überschüsse im Hoheitsgebiet der neuen Mitgliedstaaten am Tag des Beitritts verbunden sind. Die Beseitigung der Überschüsse kann nämlich eine Erhöhung der Nachfrage im Binnenmarkt nach den betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnissen auslösen und damit ganz oder teilweise die nachteilige Wirkung der Bestehens der Überschüsse auf die Stabilität der betroffenen Märkte ausgleichen.

Die Entscheidung der Kommission wird durch die Urteile des Gerichts der Europäischen Union für nichtig erklärt.

Gericht der Europäischen Union, Urteile vom 29. März 2012 – T-243/07 Polen / Kommission; T-247/07 Slowakei / Kommission; T-248/07 Tschechische Republik / Kommission und T-262/07 Litauen / Kommission