Das landwirtschaftliche Grundstück von der BVVG – Grundstücksverkauf unter Wert als staatliche Beihilfe?

Der Bundesgerichtshof hat ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union zu der Rechtsfrage gerichtet, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV einer nationalen Regelung wie § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG entgegensteht, welche es zur Verbesserung der Agrarstruktur einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung wie der BVVG im Ergebnis verbietet, ein zum Verkauf stehendes landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn das Höchstgebot in einem groben Missverhältnis zu dem Wert des Grundstücks steht.

Das landwirtschaftliche Grundstück von der BVVG – Grundstücksverkauf unter Wert als staatliche Beihilfe?

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die Befreiungsklausel des § 4 Nr. 1 GrdstVG nicht für die BVVG. Verkäufe von landwirtschaftlichen Grundstücken durch die BVVG bedürfen somit der Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz.

Ziel des Grundstücksverkehrsgesetzes ist es, zur Verbesserung der Agrarstruktur beizutragen. § 9 Abs. 1 GrdstVG enthält dazu drei Tatbestände, bei deren Vorliegen die Genehmigung des Erwerbs eines land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücks versagt werden kann.

§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG gilt für Veräußerungen, welche zu einer ungesunden Verteilung von Grund und Boden führen. Eine solche liegt nach § 9 Abs. 2 GrdstVG vor, wenn die Veräußerung Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur widerspricht. Diese Maßnahmen zielen in erster Linie auf die Schaffung und die Erhaltung selbständiger und lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe ab. Da Grund und Boden in der Land- und Forstwirtschaft der maßgebende Produktionsfaktor ist, aber nicht in unbeschränktem Umfang zur Verfügung steht, soll der vorhandene landwirtschaftliche Grundbesitz in erster Linie den Landwirten zugutekommen und vorbehalten bleiben, die ihn selbst bewirtschaften. Dementsprechend liegt eine ungesunde Bodenverteilung in der Regel dann vor, wenn landwirtschaftlich genutzter Boden an einen Nichtlandwirt veräußert werden soll und ein Landwirt das Grundstück zur Aufstockung seines Betriebes dringend benötigt und zum Erwerb bereit und in der Lage ist, die Fläche zu den Bedingungen des Kaufvertrages zu erwerben.

§ 9 Abs. 1 Nr. 2 GrdstVG soll die unwirtschaftliche Aufteilung oder Verkleinerung von land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücken verhindern. Wann eine solche anzunehmen ist, wird in § 9 Abs. 3 GrdstVG näher bestimmt.

Sinn der im vorliegenden Fall einschlägigen Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG ist es, Spekulationsgeschäfte mit land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken zu unterbinden. Es soll verhindert werden, dass die auf den Betriebsertrag angewiesenen Berufslandwirte mit so hohen Anschaffungskosten belastet werden, dass der Bestand und die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe bedroht wären. Der Erwerb der zur Verbesserung der Agrarstruktur dringend erforderlichen Flächen durch interessierte Landwirte würde erschwert, wenn überhöhte Preise gefordert werden könnten. Es handelt sich um eine preisrechtliche Regelung, welche eine zulässige Eigentumsbindung enthält.

Ein grobes Missverhältnis im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG wird angenommen, wenn der vereinbarte Kaufpreis den landwirtschaftlichen Verkehrswert des Grundstücks um mehr als 50 % übersteigt. Der landwirtschaftliche Verkehrswert ist der Preis, der für Grundstücke gleicher Art und Lage im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags im freien rechtsgeschäftlichen Verkehr unter Landwirten, also im sogenannten innerlandwirtschaftlichen Grundstücksverkehr, zu erzielen ist, wobei auch Veräußerungen an Nichtlandwirte zu berücksichtigen sind, sofern die Veräußerung zwecks weiterer landwirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks erfolgt,.

Da § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG nicht anzuwenden ist, wenn ungünstige Auswirkungen auf die Agrarstruktur nicht zu erwarten sind, kann nach der obergerichtlichen Rechtsprechung die Genehmigung nur versagt werden, wenn ein erwerbsbereiter Landwirt vorhanden ist.

Die BVVG vertritt die Auffassung, sie sei europarechtlich gehalten, das Grundstück zu dem in der Ausschreibung erzielten Höchstpreis zu verkaufen. Ein Verkauf zu einem niedrigeren Preis sei eine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unzulässige Beihilfe. Dies führt zu der Vorlagefrage, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV einer nationalen Regelung wie in § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG entgegensteht, wenn sie es zur Verbesserung der Agrarstruktur einer dem Staat zuzurechnenden Einrichtung wie der BVVG verbietet, ein zum Verkauf stehendes landwirtschaftliches Grundstück an den Höchstbietenden einer öffentlichen Ausschreibung zu verkaufen, wenn das Höchstgebot in einem groben Missverhältnis zu dem Wert des Grundstücks steht.

Diese Frage umfasst drei Problemkreise:

  1. Erstens geht es darum, ob der Verkauf von öffentlichem Grundeigentum durch die BVVG zu einem Preis, der unter dem durch eine öffentliche Ausschreibung ermittelten Preis liegt, zu einer Begünstigung des Käufers führt, wenn der Verkauf zu dem durch die Ausschreibung ermittelten Preis durch ein allgemeines Gesetz, welches auch für alle privaten Verkäufer gilt, verhindert wird.
  2. Wenn man eine solche Begünstigung annimmt, stellt sich die weitere Frage, ob sie durch den Zweck des Gesetzes, die Verbesserung der Agrarstruktur, gerechtfertigt sein kann.
  3. Schließlich ist zu entscheiden, ob bereits die Versagung des Verkaufs zu dem durch eine öffentliche Ausschreibung ermittelten Preis nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unzulässig ist, auch wenn in dieser Versagung noch keine Beihilfe liegt.

Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche Beihilfen grundsätzlich mit dem Binnenmarkt unvereinbar, wenn sie durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dieses Verbot gilt über Art. 42 Satz 1 AEUV in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Regelungen des Sekundärrechts auch für Beihilfen für die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Für staatliche Beihilfen für Investitionen und zur Entwicklung des ländlichen Raums gelten insbesondere Art. 51 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17.05.1999 und Art. 88 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20.09.2005.

Der Unionsgerichtshof prüft das Vorliegen einer unzulässigen Beihilfe in vier Schritten:

Erstens muss es sich um eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Dies umfasst auch Vorteile, welche der Staat über eine von ihm errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt. Dementsprechend wird die BVVG in der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs und in der Kommissionspraxis als möglicher Beihilfegeber angesehen.

Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung liegt bei Begünstigungen für landwirtschaftliche Betriebe regelmäßig vor. Nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs genügt es bereits, wenn eine Maßnahme die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel stärkt, auch wenn das begünstigte Unternehmen selbst nicht im Export tätig ist. Gewährt nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe, kann die inländische Erzeugung dadurch beibehalten oder erhöht werden, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, ihre Erzeugnisse auf den Markt dieses Mitgliedstaats auszuführen, verringern. Zudem bedarf es nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten; es genügt bereits, wenn die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen.

Drittens muss die Maßnahme zu einer Begünstigung für bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige führen.

Damit ist zunächst das Erfordernis der “Selektivität” gemeint. Allgemeinwirtschaftliche Maßnahmen werden von Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht erfasst. Das Grundstücksverkehrsgesetz gilt nur für land- und forstwirtschaftliche Grundstücke; der Verkauf solcher Grundstücke unter dem Marktpreis kommt regelmäßig nur dem Produktionszweig der Land- und Forstwirtschaft zugute. Somit ist die Selektivität zu bejahen.

Zum anderen ist zu prüfen,ob eine Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt. Erfasst werden nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, welche die Lasten verringern, die ein Unternehmen sonst zu tragen hätte. Ein Verkauf von öffentlichem Grundeigentum zu einem geringeren Preis als dem Marktpreis kann somit eine staatliche Beihilfe sein. Marktpreis ist dabei der Preis, den ein unter Marktbedingungen handelnder privater Investor hätte festsetzen können. Fraglich ist, ob zu den “Bedingungen”, welche den Marktpreis bestimmen, auch die Regelungen des Grundstücksverkehrsgesetzes gehören. Diese Auffassung liegt der Entscheidung des Beschwerdegerichts zugrunde. Sie wird auch in der Literatur vertreten. Zur Begründung wird angeführt, die BVVG wickle die Verkäufe privatrechtlich ab und sei deswegen an die für jedermann geltenden Gesetze gebunden. In der Anwendung dieser Gesetze könne keine Beihilfe liegen. Für diese Auffassung spricht die Überlegung, dass ein marktwirtschaftlich handelnder privater Grundstücksverkäufer ebenfalls den Begrenzungen des Grundstücksverkehrsgesetzes unterläge und das Grundstück somit nicht in jedem Fall zum Höchstgebot verkaufen könnte.

Nach Auffassung der BVVG ist der Marktpreis hingegen der durch die öffentliche Ausschreibung ermittelte Preis. Sie beruft sich dabei unter anderem auf die Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfen bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand. Der so ermittelte Preis könne nicht in einem anschließenden Genehmigungs- bzw. Gerichtsverfahren aufgrund eines Sachverständigengutachtens für unzulässig erklärt werden. Ein solches Gutachten sei gegenüber der Ermittlung durch öffentliche Ausschreibung nachrangig. Ein Verkauf zu einem geringeren Preis als dem durch die Ausschreibung ermittelten sei eine Begünstigung des Käufers und damit eine unzulässige Beihilfe.

Die bisherige Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs erlaubt es nicht, hier die Frage nach dem Vorliegen einer Begünstigung zu beantworten. Zwar geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass der “Marktpreis” grundsätzlich unter Beachtung der allgemeinen Gesetze zu bestimmen ist. Diese hätte ein marktwirtschaftlich handelnder privater Verkäufer ebenfalls zu beachten. Problematisch erscheint es jedoch, wenn sich die Gesetze speziell gegen die Höhe des Preises richten, obwohl dieser in der von der Kommission empfohlenen Art und Weise, nämlich durch die Durchführung eines Bietverfahrens, ermittelt wurde. Dies könnte bei Verkäufen durch die öffentliche Hand mit Art. 107 Abs. 1 AEUV unvereinbar sein. Zu beachten ist insbesondere, dass die BVVG in großem Umfang land- und forstwirtschaftliche Grundstücke verkauft und dass somit die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG dazu führen könnte, dass in zahlreichen Fällen öffentliches Grundeigentum nicht zu dem durch öffentliche Ausschreibung ermittelten Preis verkauft wird. Dies könnte dem Effektivitätsgrundsatz widersprechen, welcher auch die nationalen Gerichte verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, um die volle Geltung des Unionsrechts zu erleichtern. Die Kommission und ihr folgend das Gericht der Europäischen Union haben zudem bereits entschieden, dass ein verbindliches Angebot, welches aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung eingegangen ist, den Marktwert besser abbilde als ein Sachverständigengutachten. Der Marktwert dürfe deswegen nicht aufgrund eines Sachverständigengutachtens unterhalb eines solchen Angebots festgesetzt werden. Nach Auffassung der Kommission ist die Mitteilung (EG) 1997/710 so zu verstehen, dass ein Mitgliedstaat den Verkauf von öffentlichem Grundbesitz an eine andere Person als den Meistbietenden nicht durch ein Gutachten rechtfertigen könne. Anderseits geht die Kommission davon aus, dass die Verweigerung einer behördlichen Genehmigung unter Beihilfegesichtspunkten eine Rechtfertigung dafür bieten kann, nicht an den Meistbietenden zu verkaufen.

Die vierte Voraussetzung für das Vorliegen einer unzulässigen Beihilfe, die Verfälschung des Wettbewerbs, wäre zu bejahen. Beihilfen, welche ein Unternehmen von den Kosten befreien, die es normalerweise im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit zu tragen gehabt hätte, verfälschen grundsätzlich die Wettbewerbsbedingungen.

Sollte eine Beihilfe zu bejahen sein, stellt sich die weitere Frage, ob diese durch den Zweck des Gesetzes, die Verbesserung der Agrarstruktur, gerechtfertigt sein kann.

Der Unionsgerichtshof hat sich bereits mit nationalen Vorschriften befasst, welche den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken verwaltungsbehördlichen Beschränkungen unterwerfen. Er hat festgestellt, dass die Verbesserung der Agrarstruktur ein anerkennenswertes Ziel sei und Eingriffe in die Grundfreiheiten rechtfertigen könne. Eine Prüfung im Hinblick auf Art. 107 AEUV bei Grundstücksverkäufen durch die öffentliche Hand ist jedoch bislang nicht erfolgt.

Der Unionsgerichtshof hat ferner darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang der gemeinsamen Agrarpolitik nicht jeder Verkauf öffentlichen Grundeigentums zu einem geringeren Preis als dem Marktpreis unzulässig sei, weil der Unionsgesetzgeber im Rahmen des ihm im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik zustehenden weiten Ermessens verschiedene sekundärrechtliche Regelungen erlassen habe, welche die Gewährung von Beihilfen zuließen.

Ob eine dieser Regelungen im vorliegenden Fall eingreift, kann noch nicht geprüft werden: Der BVVG wurde gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG lediglich die Genehmigung des Verkaufs zu dem durch die öffentliche Ausschreibung ermittelten Preis versagt. Eine Entscheidung, an wen und zu welchem Preis ein Verkauf erfolgen wird, ist damit noch nicht gefallen und wird auch durch die Versagungsentscheidung nicht unmittelbar vorgegeben. Insbesondere entsteht durch die Genehmigungsversagung keine Verpflichtung der BVVG, an den im Genehmigungsverfahren ermittelten erwerbsbereiten Landwirt zu verkaufen.

Daran anknüpfend stellt sich die weitere Frage, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV eine Vorwirkung dahingehend entnommen werden kann, dass bereits die Versagung der Genehmigung eines beihilferechtlich unbedenklichen Verkaufs unzulässig ist, auch wenn nicht feststeht, ob diese Versagung letztlich zu einer unzulässigen Beihilfe führen wird. Für die Annahme, Art. 107 Abs. 1 AEUV (in Verbindung mit Art. 42 S. 1 AEUV und dem einschlägigen Sekundärrecht) gebiete es auch, einen beihilfekonform ermittelten Verkaufspreis nicht als zu hoch einzustufen, spricht wiederum der Effektivitätsgrundsatz. Es dient der praktischen Wirksamkeit des Beihilfeverbots, wenn es der BVVG nicht versagt wird, den öffentlichen Grundbesitz in einem beihilferechtlich unbedenklichen Verfahren zu veräußern.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. November 2013 – BLw 2/12