Die Verpachtung an einer Schweinezuchtanlage – und die Mindestbemessungsgrundlage

Die sog. Mindestbemessungsgrundlage ist bei Leistungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn der vom Leistungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug keiner Vorsteuerberichtigung i.S. des § 15a UStG unterliegt.

Die Verpachtung an einer Schweinezuchtanlage – und die Mindestbemessungsgrundlage

Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG unterliegen entgeltliche Leistungen, die Körperschaften, Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahestehende Personen ausführen, der sog. Mindestbemessungsgrundlage. Gegenüber nahestehenden Personen -wie dem S- erfolgt die Besteuerung dann nicht auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts, sondern nach den Bemessungsgrundlagen des § 10 Abs. 4 UStG[1].

§ 10 Abs. 5 UStG stellt eine abweichende Sondermaßnahme i.S. des Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG -nunmehr Art. 395 Abs. 1 der MwStSystRL- dar. Die Vorschrift ist als abweichende nationale Maßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen eng auszulegen und darf nur angewandt werden, soweit dies hierfür unbedingt erforderlich ist[2]

Der EuGH hat zu Art. 80 der MwStSystRL -der die Bestimmungen des Art. 11 Teil A Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG in der durch die Richtlinie 2006/69/EG des Rates vom 24.07.2006 geänderten Fassung übernommen hat- für den Fall der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen zu einem künstlich niedrigen oder hohen Preis, der zwischen Beteiligten vereinbart wird, die beide zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, entschieden, dass auf dieser Stufe keine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinde[3]. Erst beim Endverbraucher oder bei einem eine „Mischung“ von Umsätzen bewirkenden Steuerpflichtigen, der nur zu einem Pro-Rata-Abzug berechtigt sei, könne ein künstlich hoher oder niedriger Preis zu einem Steuerausfall führen. Nur wenn die von dem Vorgang betroffene Person nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei, bestehe ein Risiko von Steuerhinterziehung oder -umgehung, dem die Mitgliedstaaten vorbeugen dürften[4].

Gemessen daran kommt im vorliegend entschiedenen Fall die Mindestbemessungsgrundlage in den Streitjahren nicht zur Anwendung; denn der Pächter war in den Streitjahren zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt.

Soweit das Finanzamt vorbringt, eine Anwendung des § 10 Abs. 5 UStG erst in einem nachfolgenden Besteuerungszeitraum widerspräche wegen des Überwachungsaufwands und der damit steigenden Gefahr des Steuerausfalls dem Neutralitätsgrundsatz, rechtfertigt dies nicht die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG in den Streitjahren.

Denn als bloße Vereinfachungsregelung für die Steuererhebung darf die Vorschrift nicht herangezogen werden[5].

Danach bedarf es -entgegen der Ansicht des Finanzamt- keiner Erörterung, ob vorliegend die Mindestbemessungsgrundlage das marktübliche Entgelt übersteigt[6].

Dies steht im Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des V. Senats des Bundesfinanzhofs[7].

Nach der -vor dem EuGH-Urteil „alkan and Sea Properties“[8] ergangenen- Rechtsprechung des V. Senats des Bundesfinanzhofs besteht die Gefahr von Steuerhinterziehungen und -umgehungen grundsätzlich bei Rechtsgeschäften zwischen nahestehenden Personen, und zwar nicht nur bei Leistungen an Personen, die nicht oder nur eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sondern auch bei Leistungen an Personen, die den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG vollumfänglich in Anspruch nehmen können[9], wenn nach Art.20 der Richtlinie 77/388/EWG -nunmehr Art. 184 der MwStSystRL- und § 15a UStG ggf. eine Berichtigung des vom Leistungsempfänger in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs bei einer späteren Änderung der hierfür maßgeblichen Verhältnisse in Betracht kommt. Die Berichtigung nach § 15a UStG beziehe sich auf den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers und erfolge somit auf der Grundlage des Entgelts für die an diesen erbrachte Leistung. Wäre § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG aufgrund der Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG nicht anwendbar, würden Berichtigungen nach § 15a UStG auf der Grundlage eines Vorsteuerbetrags vorgenommen, der auf einem verbilligten Entgelt beruhe, woraus sich die Gefahr von Steuerumgehungen ergebe[10].

Die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen und festgelegt, dass es der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nicht entgegenstehe, wenn über eine ordnungsgemäß durchgeführte Lieferung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer abgerechnet werde (Abschn. 10.7. Abs. 6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses -UStAE-).

Auch danach wären vorliegend die streitigen Umsätze nicht nach der Mindestbemessungsgrundlage zu bemessen.

Denn auch soweit der Pächter -wie das Finanzamt nunmehr vorbringt, wozu das Finanzgericht jedoch keine Feststellungen getroffen hat- zum 1.01.2012 von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung zurückgekehrt sein sollte, was nach § 15a Abs. 7 UStG als eine Änderung der Verhältnisse zu werten wäre, kommt keine Berichtigung des in den Streitjahren 2006 und 2007 aus dem streitigen Leistungsbezug in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs i.S. des § 15a Abs. 1 und 2 UStG in Betracht, sodass vorliegend eine die Anwendung der abweichenden Vorschriften über die Mindestbemessungsgrundlage rechtfertigende Gefahr von Steuerhinterziehung und -umgehung nicht besteht.

Im Streitjahr 2006 galt § 15a Abs. 4 UStG in der durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz) vom 09.12 2004[11] eingefügten Fassung. Die Vorschrift lautete: „Die Absätze 1 und 2 sind auf sonstige Leistungen, die nicht unter Absatz 3 Satz 1 fallen, entsprechend anzuwenden.“ Danach war der Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn der Unternehmer eine sonstige Leistung bezieht, die nicht in einen Gegenstand eingeht oder an diesem ausgeführt wird und deren Verwendung anders zu beurteilen ist, als dies im Zeitpunkt des Leistungsbezugs beabsichtigt war[12].

Eine sonstige Leistung, die unter die Berichtigungspflicht nach § 15a Abs. 4 UStG fiel, war u.a. die Anmietung eines Wirtschaftsguts[13]. Hiernach war die Pacht der Schweinezuchtanlage grundsätzlich eine nach § 15a Abs. 4 UStG berichtigungspflichtige sonstige Leistung.

Allerdings wurde es aus Vereinfachungsgründen nicht beanstandet, wenn der Unternehmer die Berichtigung des Vorsteuerabzugs auf solche sonstigen Leistungen beschränkte, für die in der Steuerbilanz ein Aktivposten gebildet werden müsste. Dies galt jedoch nicht, soweit es sich um sonstige Leistungen handelte, für die der Leistungsempfänger bereits für einen Zeitraum vor Ausführung der sonstigen Leistung den Vorsteuerabzug vornehmen konnte (Voraus- und Anzahlung). Unerheblich war, ob der Unternehmer nach den §§ 140, 141 AO tatsächlich zur Buchführung verpflichtet war[14].

Diese Verwaltungsregelung wurde ab dem 1.01.2007 Gesetz. Nach der mit Wirkung zum 1.01.2007 durch Art. 8 Nr. 1 Buchst. b des Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft (BürokratieabbauG) vom 22.08.2006[15] geänderten Fassung des § 15a Abs. 4 UStG ist die Berichtigung auf solche sonstigen Leistungen zu beschränken, für die in der Steuerbilanz ein Aktivierungsgebot bestünde (§ 15a Abs. 4 Satz 2 UStG). Dies gilt jedoch nicht, soweit es sich um sonstige Leistungen handelt, für die der Leistungsempfänger bereits für einen Zeitraum vor Ausführung der sonstigen Leistung den Vorsteuerabzug vornehmen konnte (§ 15a Abs. 4 Satz 3 UStG). Unerheblich ist, ob der Unternehmer nach den §§ 140, 141 AO tatsächlich zur Buchführung verpflichtet ist (§ 15a Abs. 4 Satz 4 UStG).

Nach der Gesetzesbegründung zum BürokratieabbauG wird durch § 15a Abs. 4 Sätze 2 bis 4 UStG „klargestellt, welche sonstigen Leistungen der Berichtigung des Vorsteuerabzugs unterliegen“[16].

Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei sonstigen Leistungen, die -wie im Streitfall- nicht unter § 15a Abs. 3 UStG fallen, ist demnach -mit Ausnahme für sonstige Leistungen, für die der Unternehmer wie bei An- oder Vorauszahlungen den Vorsteuerabzug geltend machen kann, bevor er die Leistung bezogen hat- auf solche zu beschränken, für die in der Steuerbilanz ein Aktivierungsgebot besteht, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Unternehmer nach den §§ 140, 141 AO selbst zur Buchführung verpflichtet ist[17].

Dies ist hier nicht der Fall. Denn ein -wie hier von S- fortlaufend gezahltes Leistungsentgelt kann nicht als Anschaffungskosten eines immateriellen Wirtschaftsguts „Nutzungsrecht“ aktiviert werden[18]. Zwar ist das aus einem Mietverhältnis -gleiches gilt für ein hier vorliegendes Pachtverhältnis- folgende Nutzungsrecht durch einen laufend zu entrichtenden Mietzins entgeltlich erworben; gleichwohl ist das Nutzungsrecht nicht zu bilanzieren, weil ihm ein schwebendes Geschäft zugrunde liegt, das nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht in die Bilanz aufzunehmen ist, solange -wie hier- das bestehende Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten nicht durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände gestört ist[19]. Die von S aus der in den Streitjahren 2006 und 2007 von der Klägerin mit gesondertem Steuerausweis in Rechnung gestellten Pacht der Schweinezuchtanlage in Anspruch genommenen Vorsteuerbeträge sind mithin -selbst bei einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse i.S. des § 15a Abs. 7 UStG- bei S nicht zu berichtigen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. Juni 2014 – XI R 44/12

  1. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786, unter II. 2.a[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 08.10.1997 – XI R 8/86, BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840; in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786; vom 27.02.2008 – XI R 50/07, BFHE 221, 410, BStBl II 2009, 426; vom 29.05.2008 – V R 12/07, BFHE 221, 525, BStBl II 2009, 428; vom 07.10.2010 – V R 4/10, BFHE 232, 537, BFH/NV 2011, 930; vom 19.06.2011 – XI R 8/09, BFHE 234, 455, BFH/NV 2011, 2184; ferner EuGH, Urteil vom 29.05.1997 – C-63/96 -Skripalle-, Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841, Rz 22 f.[]
  3. vgl. EuGH, Urteil -Balkan and Sea Properties- in UR 2012, 435, HFR 2012, 675, Rz 47[]
  4. vgl. EuGH, Urteil -Balkan and Sea Properties- in UR 2012, 435, HFR 2012, 675, Rz 48[]
  5. vgl. dazu BFH, Urteile in BFHE 183, 314, BStBl II 1997, 840; in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786; ferner EuGH, Urteil -Skripalle- in Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841, Rz 30[]
  6. vgl. dazu EuGH, Urteil -Skripalle- in Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841, Rz 26[]
  7. BFH in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786[]
  8. EuGH, UR 2012, 435, HFR 2012, 675[]
  9. vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786, unter II. 2.b[]
  10. vgl. BFH, Urteil in BFHE 221, 388, BStBl II 2009, 786, unter II. 2.b[]
  11. BGBl I 2004, 3310[]
  12. vgl. BMF, Schreiben vom 06.12 2005 – IV A 5-S 7316-25/05, BStBl I 2005, 1068, Rz 43[]
  13. vgl. BMF, Schreiben in BStBl I 2005, 1068, Rz 44[]
  14. vgl. BMF, Schreiben in BStBl I 2005, 1068, Rz 46; Abschn. 217c Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008[]
  15. BGBl I 2006, 1970[]
  16. BR-Drs. 302/06, S. 25[]
  17. vgl. dazu Bunjes/Heidner, UStG, 12. Aufl., § 15a Rz 53; Nieskens in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15a A 27 bis A 29[]
  18. vgl. dazu z.B. BFH, Urteile vom 19.06.1997 – IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808, unter II. 3.; vom 20.11.2012 – VIII R 31/09, BFH/NV 2013, 527, Rz 17; ferner Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 32. Aufl., § 5 Rz 176, jeweils m.w.N.[]
  19. vgl. dazu z.B. BFH, Urteile in BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808, unter II. 3.; in BFH/NV 2013, 527, Rz 17; ferner zur Aktivierung von Nutzungsrechten aus einem Mietvertrag Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 100, Beispiele[]