Art. 80 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1122/2009 regelt den dem Begünstigten einer rechtswidrigen Beihilfe gegenüber deren Rückforderung zustehenden Vertrauensschutz abschließend und verdrängt daher § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 VwVfG. Beruht die fehlerhafte Festsetzung einer Betriebsprämie auf einem Computerfehler, so dass die vom Gesetz vorgeschriebene Berechnung unterblieb, handelt es sich hierbei um einen Rechtsirrtum der Behörde, nicht um einen Tatsachenirrtum.

der VO (EG) Nr. 1122/2009[1] regelt die Verpflichtung des Betriebsinhabers zur Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Beträge im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 (vgl. Art. 1 der VO (EG) Nr. 1122/2009). Eine Befugnis zur Rücknahme oder zum Widerruf eines Bewilligungsbescheides lässt sich dieser Vorschrift jedoch nicht entnehmen. Das Unionsrecht enthält auch im Übrigen keine Rechtsvorschriften, die die Befugnis der Behörde gegenüber dem Beihilfeempfänger regeln, Bewilligungsbescheide über in Durchführung des Unionsrechts gewährte Prämien und Beihilfen zurückzunehmen oder zu widerrufen. Daher richten sich die Aufhebung von Zuwendungsbescheiden und deren Folgen nach nationalem Recht[2].
Eine gesetzliche Regelung der Rücknahme und des Widerrufs von begünstigenden Bescheiden im Bereich der gemeinsamen Marktorganisationen enthält § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen in der 2011 geltenden Fassung[3]. Danach sind rechtswidrige begünstigende Bescheide in den Fällen der §§ 6 und 8, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, grundsätzlich zurückzunehmen. Bei den dem Landwirt gewährten Flächenzahlungen handelt es sich um flächenbezogene Beihilfen im Sinne des § 6 Abs. 1 Buchst. g MOG, so dass § 10 MOG Anwendung findet.
Die Verpflichtung zur Rücknahme der rechtswidrigen Begünstigung ist jedoch durch Regelungen zum Vertrauensschutz eingeschränkt. Dabei werden für den vorliegenden Bereich die Bestimmungen in § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG, auf die § 10 Abs. 1 MOG verweist, durch die Regelungen in Art. 80 der VO (EG) Nr. 1122/2009 mit Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) Nr. 73/2009 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe ersetzt. Die Regelung zum Vertrauensschutz in Art. 80 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1122/2009 ist abschließend; für nationale Bestimmungen ist daneben kein Raum[4]. Mit der Verankerung einer Vertrauensschutzregelung im Unionsrecht anstelle der Anwendung der jeweils nationalstaatlichen Regelungen sollte eine einheitliche Handhabung bei der Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge in der Europäischen Union sichergestellt werden[5]. Die Anwendung der jeweiligen nationalen Regelungen ließe sich mit dieser Intention nicht vereinbaren[6] Der in Art. 80 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1122/2009 angeordnete Ausschluss der Rückzahlungsverpflichtung bedeutet zugleich, dass die Ermächtigung zur Aufhebung rechtswidriger Bewilligungsbescheide entsprechend eingeschränkt ist.
Gemäß Art. 80 Abs. 3 UAbs. 1 VO (EG) Nr. 1122/2009 gilt die Verpflichtung zur Rückzahlung gemäß Absatz 1 nicht, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde oder einer anderen Behörde zurückzuführen ist, der vom Betriebsinhaber billigerweise nicht erkannt werden konnte. Bezieht sich der Irrtum auf Tatsachen, die für die Berechnung der betreffenden Zahlung relevant sind, so gilt Unterabsatz 1 nur, wenn der Rückforderungsbescheid nicht innerhalb von 12 Monaten nach der Zahlung übermittelt worden ist (Art. 80 Abs. 3 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1122/2009).
Im vorliegend vom Obererverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein entschiedenen Fall beruhte die Überzahlung auf einem Irrtum einer Behörde. Ob ein individuelles Verschulden eines Sachbearbeiters bei der Behörde, ein Programmierungsfehler oder ein technischer Defekt bei der Datenübermittlung durch das MLUR vorlag, ist insoweit unerheblich.
Die Behörde unterlag bei der Bewilligung aber keinem Tatsachenirrtum, d.h. einem Irrtum bezüglich des für die Berechnung maßgeblichen Sachverhalts wie etwa der Größe der Flächen oder des Tierbestands, der Anzahl der Zahlungsansprüche oder des Wertes derselben im Jahr 2009, sondern einem Rechtsirrtum, weil sie in Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen verkannt hat, dass die Berechnung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 iVm Anlage 3 BetrPrämDurchfG unterblieben ist. Rechenfehler sind Rechtsanwendungsfehler, wenn die genannten Vorschriften – wie hier – verlangen, dass – und bezeichnen wie – gerechnet wird.
Nach Art. 80 Abs. 3 UAbs. 1 VO (EG) Nr. 1122/2009 ist eine Verpflichtung zur Rückzahlung zu Unrecht bezahlter Beträge ausgeschlossen, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde zurückzuführen ist, der vom Betriebsinhaber billigerweise nicht erkannt werden konnte. Der Irrtum der Behörde hätte vom Landwirt aber billigerweise erkannt werden können. Zwar hat der Landwirt keine unzutreffenden Angaben gemacht hat. Er hätte aber bei der gebotenen Sorgfalt den Irrtum der Behörde erkennen können.
Eine isolierte Betrachtung des Bewilligungsbescheides greift zu kurz. Zwar werden in dem Bescheid weder die Berechnung dargestellt noch die Rechtsgrundlage genannt oder der ursprüngliche Wert der Zahlungsansprüche (Startwert) wiedergegeben.
Die Anpassung der Zahlungsansprüche im sogenannten Gleitflug ist aber in der dem Landwirt vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MLUR) für den online Antrag (im April 2010) zugeschickten Antrags-CD als Dokument in den Erläuterungen und Hinweisen zum Sammelantrag 2010 mit Beispielen erläutert worden. Unerheblich ist, ob der Landwirt diese Erläuterungen und Hinweise tatsächlich zur Kenntnis genommen hat; im Rahmen der Billigkeit kommt es nur darauf an, dass ihm dies möglich gewesen wäre. Im Hinblick auf die Kompliziertheit der Materie und den beträchtlich Umfang der Erläuterungen und Ausfüllhinweise erscheint es durchaus zweifelhaft, ob dem Landwirt eine genaue Berechnung seines Anspruchs möglich war, zumal die Berechnung nur beispielhaft dargestellt und die vorzunehmenden Rechenschritte nicht näher erläutert werden und dies auch im Bewilligungsbescheid unterblieb. Eine überschlägige Berechnung war ihm aber nach dieser Information durchaus möglich. Es war für den Landwirt bereits danach ohne jeden Zweifel zu erkennen, dass sich seine Zahlungsansprüche verringern würden.
Unerheblich ist im Rahmen der Billigkeit des Weiteren, dass zwischen der Antragstellung im April und dem Erhalt des Bewilligungsbescheides im Dezember 2012 ein erheblicher Zeitraum lag, während dessen dieser Hinweis in Vergessenheit geraten sein könnte. Auf den „Gleitflug“ wurde nämlich außerdem am Tag der Auszahlung der Betriebsprämien in ganz Norddeutschland nicht nur vom MLUR, sondern auch in von einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Nachrichtenblättern (und im Internet; da der Landwirt einen online-Antrag stellte, muss er über einen Internet-Zugang verfügen) hingewiesen. Entsprechende Hinweise gab es in allen Bundesländern. Die ab 2010 bevorstehende erhebliche Reduzierung der Betriebsprämien für Betriebsinhaber, deren Zahlungsansprüche aufgrund betriebsindividueller Beträge, deren Höhe aus bestimmten in den Jahren 2000 bis 2002 erhaltenen Tierprämienbeträgen, so genannten Top-Ups, resultierte, war zudem seit der im Jahr 2003 beschlossenen und seit 2005 umgesetzten Agrarreform nahezu jedem Landwirt bekannt und sorgte bundesweit für Diskussionen bei den Betroffenen.
- ABl L 316 vom 02.12 2009 S. 65[↩]
- stRspr, der Oberverwaltungsgerichte, vgl. OVG S-H, Urteil vom 25.03.2009 – 2 LB 7/08: Bayerischer VGH, Urteil vom 16.02.2009 – 19 B 08.2522; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.04.2007 – 11 B 6.05; Nds. OVG, Urteile vom 17.01.2012 – 10 LB 8/12; und vom 19.11.2013 – 10 LB 57/12 32; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.02.2008 – 8 A 11153/07; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 19.03.2009 – 10 S 1578/08; und vom 18.11.2014 – 10 S 847/12[↩]
- vom 24 Juni 2005, BGBl I S. 1847, zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 29.07.2009, BGBl I S. 2314, MOG[↩]
- stRspr, des BVerwG und der Oberverwaltungsgerichte zu inhaltsgleichen Regelungen im Unionsrecht, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.03.2005 – 3 B 117.04 – Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr 112 = RdL 2005, 224 = AUR 2005, 301 und juris; OVG, Urteil vom 25.03.2009 aaO Rn. 43, Bayerischer VGH, Urteil vom 16.02.2009 aaO Rn. 25; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.04.2007 aaO Rn. 22; OVG Niedersachsen, Urteile vom 17.01.2012 aaO Rn. 37; und vom 19.11.2013 aaO Rn. 37; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.02.2008 aaO Rn 17; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 19.03.2009 aaO Rn. 36 f.; und vom 18.11.2014 aaO Rn. 39[↩]
- vgl. den Erwägungsgrund 101 der VO (EG) Nr. 1122/2009: „Um die einheitliche Anwendung des Grundsatzes des guten Glaubens in der gesamten Gemeinschaft zu gewährleisten, sollten bei der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge die Voraussetzungen, unter denen sich der Betroffene auf diesen Grundsatz berufen kann, …, festgelegt werden“[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.03.2005 – 3 B 117.04 – juris[↩]