Kartoffelstärkeprämien – Vertrauensschutz und das mit der Behörde abgestimmte Verhalten

Eine Ausnahme vom Ausschluss schutzwürdigen Vertrauens wegen unrichtiger Angaben (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG) kommt nicht schon deshalb in Betracht, weil das Vorgehen mit der Behörde abgestimmt wurde.

Kartoffelstärkeprämien – Vertrauensschutz und das mit der Behörde abgestimmte Verhalten

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und der Direktzahlungen (MOG) trägt der Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten Rechnung, rechtswidrig gewährte Beihilfen der Europäischen Union in der Regel und – erforderlichenfalls – aufgrund nationaler Rechtsvorschriften zurückzufordern (Art. 4 Abs. 1 VO, EG, Euratom Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und – für den Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik – Art. 9 Abs. 1 Buchst. a VO, EG Nr. 1290/2005 des Rates vom 21.06.2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik)[1]. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG sind rechtswidrige begünstigende Bescheide in den Fällen der §§ 6 und 8 MOG zurückzunehmen; § 48 Abs. 2 bis 4 und § 49a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG sind anzuwenden.

Bei den Ausgleichszahlungen, deren Bewilligungen zurückgenommen wurden, handelt es sich um unionsrechtlich im Sinne von § 1 Abs. 2 MOG geregelte Fälle einer produktbezogenen Beihilfe für Marktordnungswaren gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g MOG[2]. Sie beruhen auf Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1766/92 des Rates vom 30.06.1992 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide[3], der für das Wirtschaftsjahr 1995/96 in seiner zuletzt mit Verordnung (EG) Nr. 1863/95 des Rates vom 17.07.1995[4] geänderten Fassung maßgeblich war.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. a VO (EWG) Nr. 1766/92 konnten nur Erzeuger von zur Stärkeherstellung bestimmten Kartoffeln Ausgleichszahlungen erhalten. Erzeuger in diesem Sinne war nach der Begriffsdefinition des Art. 1 Buchst. d VO (EG) Nr. 97/95 jede natürliche oder juristische Person oder Vereinigung dieser Personen, die selbst oder von ihren Mitgliedern erzeugte Kartoffeln in ihrem Namen und für ihre Rechnung im Rahmen eines von ihr oder in ihrem Namen geschlossenen Anbauvertrags an ein Stärkeunternehmen lieferte. Dass die Landhandelsgesellschaft damals keine Stärkekartoffeln erzeugt hat und damit nicht als Erzeugerin angesehen werden kann, ist unstreitig und bindend festgestellt. Sie war auch keine Erzeugervereinigung.

Der Rücknahme der Bewilligungsbescheide steht Vertrauensschutz nicht entgegen. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG bestimmt sich dieser nach § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG. Die Bewilligung darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf ihren Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Darauf kann sich allerdings von vornherein nicht berufen, wer die Bewilligung durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG).

Diese Bestimmungen sind hier mangels spezieller unionsrechtlicher Vertrauensschutzregelungen maßgeblich. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass insbesondere die Vertrauensschutzregelungen des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems keine Anwendung finden. Dem danach anzuwendenden nationalen Recht sind allerdings durch das Unionsrecht (auch) bei der Rückforderung von unionsrechtlichen Beihilfen Grenzen gezogen; den Interessen der Europäischen Union ist bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen in vollem Umfang Rechnung zu tragen[5].

Vorliegend hat die Landhandelsgesellschaft die Bewilligungen durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren, indem sie in dem Vertrag mit der Kyritzer Stärke GmbH unzutreffend den Eindruck erweckt habe, dass sie als Erzeugerin Stärkekartoffeln auf einer Fläche von 30 ha anbaue. Diese von der Landhandelsgesellschaft mit Verfahrensrügen nicht angegriffene Feststellung ist für das Bundesverwaltungsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Ausschlusstatbestand des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG nicht bereits dann unanwendbar ist, wenn die Bewilligungsbehörde eine Mitverantwortung trifft[6]. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht eine Ausnahme in Erwägung gezogen, wenn ein Begünstigter bei seinen objektiv unrichtigen Angaben ein Höchstmaß an Sorgfalt habe walten lassen, beispielsweise durch eine Erkundigung bei der zuständigen Behörde, sodass der Fehler nicht mehr seiner Verantwortungssphäre zugerechnet werden könne[7]. Vergleichbar hat auch der Europäische Gerichtshof einem Unternehmen Vertrauensschutz gewährt, das sich auf Angaben eines Dritten verlassen hatte, die es nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hätte kontrollieren können und auf die es berechtigt vertraut hat[8]. In eine ähnliche Richtung weist – im hier nicht gegebenen Anwendungsbereich des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems – Art. 73 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 vom 21.04.2004[9], wonach eine Rückzahlungsverpflichtung dann nicht besteht, wenn die Zahlung auf einen Fehler im Verantwortungsbereich der Behörde zurückzuführen ist, der vom Betriebsinhaber billigerweise nicht erkannt werden konnte[10]. Hier verhält es sich jedoch so, dass die Vertragsangaben der Landhandelsgesellschaft ersichtlich falsch waren. Ihrer Verantwortung dafür ist die Landhandelsgesellschaft nicht schon wegen der Abstimmung mit der Bewilligungsbehörde und deren unzutreffender Auslegung des Unionsrechts enthoben. Der Europäische Gerichtshof hat in dem gleich gelagerten Verfahren der Emsland Stärke GmbH entschieden, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Regelung – die Regelungen zur Erzeugereigenschaft und zum Anbauvertrag – angeführt werden kann und dass das rechtswidrige Verhalten der zuständigen nationalen Behörde kein berechtigtes Vertrauen begründet[11]. Darüber hinaus hat der Gerichtshof deutlich gemacht, dass es unerheblich ist, ob das materielle Ziel, dessen Erreichen durch Bewilligungsvoraussetzungen gewährleistet werden soll, tatsächlich erreicht wurde. Ausreichend sei, dass das Erreichen des Ziels – die Auszahlung des Mindestpreises an den tatsächlichen Erzeuger – gefährdet werde[12]. Schließlich hat der Gerichtshof betont, dass bereits die Bewilligung von Prämien für Kartoffellieferungen, die nicht ordnungsgemäß durch einen Anbauvertrag mit einem Erzeuger gebunden sind, einen Schaden für den Haushalt der Union bewirke[13]. Nichts anderes gilt für die Ausgleichszahlungen, weshalb unerheblich bleibt, ob die der Landhandelsgesellschaft bewilligten Ausgleichszahlungen die Erzeuger der von ihr bezogenen Kartoffeln tatsächlich ungeschmälert erreicht haben. Für Vertrauensschutz der Landhandelsgesellschaft bleibt danach kein Raum.

Vor diesem Hintergrund ist die Rückforderung der Ausgleichszahlungen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG und § 49a Abs. 1 VwVfG zwingende Rechtsfolge der Rücknahme der Bewilligungen. Die Landhandelsgesellschaft kann sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, da sie die tatsächlichen Umstände kannte, die die Rechtswidrigkeit bewirkt haben (§ 49a Abs. 2 VwVfG).

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 C 23.2013 –

  1. vgl. auch EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-366/95, Steff-Houlberg, Slg. I-2661, Rn. 15 m.w.N.[]
  2. vgl. Teilurteil vom 09.12 2004 – 3 C 37.03, Buchholz 451.90 Sonstiges Europäisches Recht Nr.198 S. 61[]
  3. ABI Nr. L 181 S. 21 – im Folgenden: VO, EWG Nr. 1766/92[]
  4. ABI Nr. L 179 S. 1[]
  5. EuGH, Urteile vom 21.09.1983 – C-205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg. 2633 Rn. 30 ff.; vom 12.05.1998 – C-366/95, Steff-Houlberg, Slg. I-2661 Rn. 15; und vom 16.07.1998 – C-298/96, Oehlmühle, Slg. I-4767 Rn. 24[]
  6. BVerwG, Urteil vom 14.08.1986 – 3 C 9.85, BVerwGE 74, 357, 363 f.; vgl. auch Urteil vom 20.10.1987 – 9 C 255.86, BVerwGE 78, 139, 142 f.[]
  7. BVerwG, Urteil vom 13.11.1997 – 3 C 33.96 – RdL 1998, 102, 104 insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 105, 354[]
  8. EuGH, Urteile vom 12.05.1998 a.a.O. Rn. 21 ff.; und vom 16.07.1998 a.a.O. Rn. 29 f.[]
  9. ABl Nr. L 141 S.18[]
  10. vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12 2012 – 3 B 20.12, Buchholz 451.505 Einzelne Stützungsregelungen Nr. 6 Rn. 10 f.[]
  11. EuGH, Urteil vom 16.03.2006 – C-94/05, Emsland Stärke GmbH, Slg. I-2622 Rn. 30-32[]
  12. EuGH, Urteil vom 16.03.2006 a.a.O. Rn. 36-38[]
  13. EuGH, Urteil vom 16.03.2006 a.a.O. Rn. 52[]