Die Herabsetzung des genossenschaftlichen Geschäftsanteilswerts – und die Körperschaftsteuer

Auszahlungen an die Mitglieder einer Genossenschaft infolge der Herabsetzung des Geschäftsanteilswerts sind eine „Leistung“ im Sinne von § 38 Abs. 1 und 2 KStG, die zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen kann.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hat eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. c KStG 2018 von der Körperschaftsteuer befreite eingetragene Genossenschaft geklagt, die als Molkerei Milch und Milchprodukte vermarktet. An ihr waren die Landwirte beteiligt, die in Abhängigkeit von der gelieferten Menge Genossenschaftsanteile gezeichnet hatten. Die Anzahl der zu zeichnenden Genossenschaftsanteile wurde in einem 3-Jahres-Rhythmus an die vom Landwirt gelieferten Mengen angepasst. Im August 2008 hatte die Genossenschaft einen Antrag zur Weiteranwendung des § 38 KStG in der am 27.12.2007 geltenden Fassung gestellt. Dadurch kam es bei ihr nicht zu einer ausschüttungsunabhängigen Festsetzung des Körperschaftsteuererhöhungsbetrags gemäß § 38 Abs. 5 und 6 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007[1].

Die Generalversammlung der Genossenschaft beschloss im Jahr 2018  im Wege der Satzungsänderung die Herabsetzung des Werts je Geschäftsanteil der Genossenschaftsmitglieder von 75 € auf 1 €. Die Eintragung ins Genossenschaftsregister erfolgte im gleichen Jahr. Der Gesamtbetrag der Herabsetzung des Geschäftsanteilswerts wurde zum 31.12.2017 als Verbindlichkeit gegenüber den Genossenschaftsmitgliedern in der Bilanz der Genossenschaft erfasst. Im März 2018 erfolgte nach Ablauf der sechsmonatigen Gläubigerschutzfrist nach § 22 Abs. 2 GenG die tatsächliche Auszahlung der Herabsetzungsbeträge an die Genossenschaftsmitglieder.

Das Finanzamt stellte unter anderem den Bestand des sogenannten EK 02 zum 31.12.2017 fest. Im Zuge einer Außenprüfung ging das Finanzamt davon aus, dass die Auszahlung an die Genossenschaftsmitglieder eine Leistung darstelle, die mit Wirkung im Auszahlungsjahr eine Körperschaftsteuererhöhung gemäß § 38 Abs. 1 und 2 KStG auslöst. Gegen die gemäß § 164 Abs. 2 AO ergangenen Änderungsbescheide erhob die Genossenschaft mit Zustimmung des Finanzamtes Sprungklage (§ 45 FGO), der das Finanzgericht Nürnberg stattgab[2]. Auf die Revision des Finanzamtes hob der Bundesfinanzhof das finanzgerichtliche Urteil auf und wies die Klage der Kläger ab; da die streitgegenständliche Zahlung der Genossenschaft an ihre Mitglieder eine Körperschaftsteuererhöhung gemäß § 38 Abs. 2 KStG auslöse:

Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 KStG erhöht sich die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums, in dem das Wirtschaftsjahr endet, in dem die Leistungen erfolgen, um 3/7 des Betrags der Leistungen, für die ein Teilbetrag aus dem Endbetrag im Sinne des Absatzes 1 als verwendet gilt (Körperschaftsteuererhöhung). Nach § 38 Abs. 1 Satz 3 KStG verringert sich der in Satz 1 geregelte positive Endbetrag jeweils, soweit er als für Leistungen verwendet gilt. Er gilt nach Satz 4 des § 38 Abs 1 KStG als verwendet, soweit die Summe der Leistungen, die die Gesellschaft im Wirtschaftsjahr erbracht hat, den um den Bestand des Satzes 1 verminderten ausschüttbaren Gewinn (§ 27 KStG) übersteigt. Nach Satz 6 des § 38 Abs. 1 KStG stellt die Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Mitglieder von Genossenschaften, soweit es sich dabei nicht um Nennkapital im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG handelt, keine Leistung im Sinne der Sätze 3 und 4 dar.

Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass, abgesehen vom Tatbestandsmerkmal „Leistung“, die übrigen Voraussetzungen für den Ansatz einer Körperschaftsteuererhöhung erfüllt sind. Denn die Genossenschaft verfügte über einen positiven Bestand an EK 02 im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 KStG, der für die Auszahlung an die Mitglieder im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG als verwendet galt, weil kein ausschüttbarer Gewinn vorhanden war. Auch greift die Sonderregelung zur Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Genossenschaftsmitglieder gemäß § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG nicht ein, weil sich der streitgegenständliche Vorgang als Rückzahlung von Geschäftsguthaben an die in der Genossenschaft weiterhin verbliebenen Mitglieder infolge einer Herabsetzung des Geschäftsanteils im Sinne des § 22 Abs. 1 GenG darstellt. Zahlungen aufgrund einer Herabsetzung des Geschäftsanteils an Genossen, die Mitglieder der Genossenschaft bleiben, werden vom Wortlaut des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG nicht erfasst.

Die im März 2018 vollzogene Auszahlung der Herabsetzungsbeträge an die Mitglieder der Genossenschaft ist eine „Leistung“ im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 3 und 4, Abs. 2 Satz 1 KStG. Der davon abweichenden Rechtsauffassung der Genossenschaft und des Finanzgerichtes ist nicht zu folgen.

Der in § 38 Abs. 1 und 2 KStG verwendete Leistungsbegriff erfasst bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Zahlungsvorgänge jeglicher Art. Aber auch im juristischen Sprachgebrauch sind Zahlungen ohne Weiteres vom Begriff der Leistung umfasst. So wird dieser Begriff in der Rechtsprechung dahin definiert, dass alle Auskehrungen an den Gesellschafter gemeint sind, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben[3]. Anders als beispielsweise im Falle des von § 37 Abs. 2 KStG verwendeten Begriffs der Gewinnausschüttung belegen damit der Wortlaut des § 38 Abs. 1 KStG und der systematische Zusammenhang mit Normen, die speziellere Leistungsbegriffe verwenden, die Geltung eines weiten Leistungsbegriffs.

Bestätigt wird dies durch die Entstehungsgeschichte des § 38 Abs. 1 KStG. Mit dem Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006[4] hat der Gesetzgeber die Sätze 6 und 7 in den ersten Absatz des § 38 KStG eingefügt. Satz 6 bestimmt, dass die Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Mitglieder von Genossenschaften, soweit es sich dabei nicht um Nennkapital im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG handelt, keine Leistung im Sinne der Sätze 3 und 4 darstellt. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zur Einführung dieser ergänzenden Regelung Folgendes ausgeführt[5]:

„In der Übergangszeit vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren kann jede Leistung einer Körperschaft, einschließlich der Rückzahlung von Nennkapital und der Rückgewähr von Einlagen, eine Körperschaftsteuererhöhung auslösen, wenn für die Leistung EK 02 als verwendet gilt. Die Rückzahlung von Geschäftsguthaben an ausscheidende Mitglieder von Genossenschaften wird von den Regelungen zur Nachversteuerung des EK 02 ausgenommen, es sei denn, es wird Nennkapital zurückgezahlt, das aus Rücklagen gebildet worden ist. Die Ausnahmeregelung trägt der Besonderheit Rechnung, dass Genossenschaften anders als Kapitalgesellschaften über ein variables Kapital verfügen, das sich durch den Beitritt und das Ausscheiden von Mitgliedern verändert. Aufgrund dieser Besonderheit kann es durch das Ausscheiden von Mitgliedern zu einer Körperschaftsteuererhöhung kommen. Im Gegensatz dazu verändert sich das gezeichnete Kapital einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafterwechsel nicht. Von der Nachversteuerung waren in besonderem Maße Wohnungsgenossenschaften betroffen, die systembedingt über hohe Bestände an EK 02 verfügen.“

Diese Begründung zeigt zum einen, dass der Gesetzgeber des Jahressteuergesetzes 2007 mit der „Weiterverwendung“ des weiten Leistungsbegriffs die Rückzahlung von Nennkapital und die Rückgewähr von Einlagen als tatbestandsauslösend qualifiziert hat. Auch wenn sich in den Materialien zum Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001[6], mit dem terminologische Unschärfen beseitigt werden sollten[7], keine hinreichenden Belege für das gesetzgeberische Verständnis des Leistungsbegriffs finden lassen, spricht die Entstehungsgeschichte des Jahressteuergesetzes 2007 dafür, dass der Gesetzgeber mit der angeordneten Fortgeltung der Regelungen in § 38 Abs. 1 Satz 3 und 4 KStG die Anwendung eines weiten Leistungsbegriffs, der die Rückzahlung von Nennkapital einschließt, in seinen Willen aufgenommen hat.

Zum anderen verdeutlicht die Einfügung der genossenschaftsspezifischen Sonderregelung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG, dass das von der Vorinstanz der Sache nach angezogene „argumentum a minore ad maius“ nicht zulässig ist. Das Finanzgericht misst dieser Sonderregelung lediglich klarstellenden Charakter bei. Die Vorschrift verdeutliche „im Kleinen“ (Nennkapitalrückzahlungen an ausscheidende Genossen sind keine Leistungen), was auch „im Großen“ gelte, nämlich Nennkapitalrückzahlungen allgemein vom Leistungsbegriff des § 38 Abs. 1 KStG auszunehmen. Dem ist nicht zu folgen. Die Entstehungsgeschichte (unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Bundesministeriums der Finanzen in dem im Gesetzgebungsverfahren bekannten Schreiben vom 06.11.2003[8]) und die systematische Stellung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG (gerade auch im Zusammenhang mit dem Anwendungsausschluss in § 38 Abs. 1 Satz 7 KStG) lassen nur den gegenteiligen Schluss zu: Der (Änderungs-)Gesetzgeber ging im Allgemeinen davon aus, dass Nennkapitalrückzahlungen den Leistungsbegriff erfüllen. Nur in dem besonderen Fall, dass Mitglieder gegen Rückzahlung ihrer Geschäftsguthaben aus einer Genossenschaft austreten, ist davon eine Ausnahme zu machen. § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG hat damit einen konstitutiven Charakter[9].

Da die Regelungsabsichten des Gesetzgebers, wonach zwecks Sicherstellung der Nachversteuerung des EK 02 grundsätzlich auch Nennkapitalrückzahlungen und die Einlagenrückgewähr eine Körperschaftsteuererhöhung auslösen können, wovon (nur) beim Austritt von Mitgliedern einer Genossenschaft Ausnahmen zu machen sind, in den Gesetzesmaterialien und im Gesetzeswortlaut klar zum Ausdruck gekommen sind, ist für eine teleologische Reduktion oder eine rechtsformspezifische Interpretation des Leistungsbegriffs oder für eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG für den streitgegenständlichen Fall der Zurückzahlung von Geschäftsguthaben nach einem Herabsetzungsbeschluss im Sinne des § 22 Abs. 1 GenG kein Raum. Gegen eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG im Streitfall spricht zudem, dass der Gesetzgeber mit der Herausnahme des Austritts von Genossen eine Gleichbehandlung der Genossenschaft mit der GmbH bei der Frage der Körperschaftsteuererhöhung angestrebt hat. Da sich bei Letzterer das Nennkapital durch einen Gesellschafterwechsel nicht ändert, sollten auch Wechsel im Mitgliederbestand einer Genossenschaft keine nachteiligen Folgen nach sich ziehen. Dieser Gleichbehandlungsgesichtspunkt rechtfertigt es aber nicht, die sich ohne Änderung des Mitgliederbestands vollziehende Herabsetzung des Geschäftsanteils mittels analoger Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 6 KStG zu begünstigen.

An die in § 38 KStG klar und eindeutig niedergelegten Vorgaben des Gesetzgebers ist der Bundesfinanzhof gebunden. Er ist daher nicht befugt, eine tatbestandsmäßig ausgelöste; und vom Finanzamt entsprechend festgesetzte Körperschaftsteuererhöhung mit Blick auf einen allgemeinen Grundsatz der „Nichtsteuerbarkeit“ von Nennkapitalrückzahlungen rechtlich zu beanstanden. Die dahingehenden Einwendungen der Genossenschaft, die auch von Teilen der Literatur geteilt werden[10], rechtfertigen daher kein anderes Entscheidungsergebnis[11].

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Rückzahlung von Geschäftsguthaben im Allgemeinen nicht notwendig und vollumfänglich mit der Rückzahlung von Nennkapital gleichgesetzt werden kann. Bei dem Geschäftsguthaben der Mitglieder einer Genossenschaft handelt es sich um eine variable Größe, die sich neben der tatsächlichen Einzahlung auf den Geschäftsanteil gegebenenfalls auch aus späteren Gewinn- und Zinsgutschriften abzüglich Verlustanteil zusammensetzt[12].

Die Genossenschaft kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12.10.2011[13] berufen. Denn dort hatte der Bundesfinanzhof zu § 38 Abs. 5 Satz 2 KStG i.d.F. des JStG 2008 und damit zu einer abweichenden Regelungslage zu entscheiden. Bei dieser Norm ging es um die Frage, ob sich die dort vorgesehene Begrenzung der Körperschaftsteuererhöhung in dem im Jahr 2008 eingeführten System der ausschüttungsunabhängigen Nachbelastung des EK 02 auf das ausschüttbare Eigenkapital unter Ausschluss des Nennkapitals bezieht, was der Bundesfinanzhof unter Auslegung der Gesetzesformulierung „Eigenkapital laut Steuerbilanz für eine Ausschüttung“ bejaht hat. Dagegen ist vorliegend eine tatsächlich geleistete Zahlung im Rahmen der unverändert gebliebenen Bestimmungen des § 38 Abs. 1 und 2 KStG bei der ausschüttungsabhängigen Ermittlung des Körperschaftsteuererhöhungsbetrags zu beurteilen. Bereits diese tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede lassen eine Übertragung der Entscheidung auf den vorliegenden Fall angesichts der vom Bundesfinanzhof als eindeutig erachteten Auslegung des Leistungsbegriffs in § 38 Abs. 1 und 2 KStG nicht zu.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 8. Mai 2024 – I R 37/21

  1. BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218[]
  2. FG Nürnberg, Urteil vom 23.03.2021 – 1 K 382/20, EFG 2022, 1056[]
  3. BFH, Beschluss vom 06.06.2013 – I R 38/11, BFHE 241, 530, BStBl II 2014, 398[]
  4. BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28[]
  5. BT-Drs. 16/2712, S. 72 f.[]
  6. BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35[]
  7. vgl. BR-Drs. 638/01, S. 64[]
  8. BMF, Schreiben vom 06.11.2003, BStBl I 2003, 575, Rz 44[]
  9. z.B. Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 38 KStG Rz 23 und 30; Falk, EFG 2022, 1060[]
  10. z.B. Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 38 Rz 36; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 38 KStG Rz 11; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 38 KStG Rz 14a[]
  11. Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 38 KStG Rz 23; Helios in Beck’sches Handbuch der Genossenschaft, 2009, § 9 Rz 134; Schmidt in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 38 Rz 31; Lange in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 38 Rz 20; Brandis/Heuermann/Werning, § 38 KStG Rz 13; Falk, EFG 2022, 1060; wohl auch Kiontke in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 38 Rz 17; s.a. BMF, Schreiben vom 06.11.2003, BStBl I 2003, 575, Rz 44[]
  12. vgl. BFH, Urteil vom 23.01.2013 – I R 70/11, BFH/NV 2013, 987[]
  13. BFH, Urteil vom 12.10.2011 – I R 107/10, BFHE 235, 398, BStBl II 2012, 610[]